Herz und Kunst
Bei der Durchsicht der Jubiläumsunterlagen 2016 und 2017 findet man Hinweise, wie der Ansatz der Herzchirurgie aussah, im Herzzentrum Künstlern die Gelegenheit zu geben, ihre zeitgenössischen und aktuellen Werke zu demonstrieren, zu „hängen“, wie man sagt. Das Thema ist anregend. Immerhin beschäftigen sich Philosophie, dichtende und darstellende Kunst seit langem mit dem Organ, dem viele metaphorische Eigenschaften zugeschrieben werden: Sitz der Seele, Unsterblichkeit, Anmut, Stärke und auch Wort- und Sprachfindungen: schwaches, starkes Herz, schweres Herz, Herzklopfen, „es steht das Herz still“ u.v.m.
Der Autor hatte während seiner aktiven Zeit auch gutachterlich zu tun. Eines der Gutachten beschäftigte sich damals mit der Frage, ob ein erheblicher Schreck oder psychischer Schock zu einem Herzinfarkt führen könnte oder nicht. Ich habe die Frage damals negativ beantwortet, selbst wenn man subjektiv mit der Formulierung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ doch etwas unsicher war.
Inzwischen hat sich die Datenlage drastisch geändert. Die (nach der japanischen Tintenfischfalle benannte) Takotsubo- oder Stress-Kardiomyopathie oder das „broken heart syndrome“ sind klinische und echo- und angiografische Realität und entstehen meist auf dem Boden einer stattgehabten akuten und schwerwiegenden Schrecksituation. Das klinische und angiografische Bild ist das eines Herzinfarkts ohne sichtbare stenosierende Koronarsklerose.
Das Herz nimmt an der psychischen Situation des Menschen intensiv teil, da es explizit vom vegetativen Nervensystem gesteuert wird. Die Erkenntnis, dass Depressionen als Auslöser von Herzkrankheiten zu den unabhängigen Risikofaktoren gehören und Herzkrankheiten umgekehrt schwere Depressionen auslösen können, ist ebenfalls als gesichert anzusehen. Daher ist die philosophische Frage, ob das Herz Sitz der Seele sei, die unsere Vorfahren mehr oder weniger intuitiv beantworteten, heute auch klinisch beantwortet.
So hat sich (auch am Herzzentrum) die Meinung durchgesetzt, dass es einer strengeren Berücksichtigung der individuellen Situation des Herzkranken bedarf, die bereits eine neue Spezialität hervorrief – die Psychokardiologie. Eine Neurokardiologie oder eine Nephrokardiologie haben wir ja bereits schon, und alles das zeigt uns, wie sehr die Medizin wieder auf sich selbst zurückgeworfen wird, den ganzen Menschen zu behandeln und nicht nur das spezielle Organ: Spezialitäten sind die eine Möglichkeit, nach aktuellem Wissensstand zu behandeln, die ganzheitliche Medizin jedoch ist die andere, bessere Möglichkeit und Aufgabe der ärztlichen Zukunft.